Quartiersrätekongress 2011: Quartiersarbeit in unsicherer Förderlage

Einmal im Jahr lädt die Senatsverwaltung die Quartiersräte aus Berlins Quartiersmanagementgebieten ein, damit sie sich austauschen können, sich miteinander vernetzen und Impulse für das folgende Jahr bekommen. Aber vor allem auch, um sich bei ihnen zu bedanken.

Quartiersrat sein, das heißt ehrenamtliches Engagement für den Stadtteil zu leisten - und das ist nicht wenig Arbeit. Es bedeutet, seitenlange Projektanträge lesen und Zeit opfern, um in Gremien wie Aktionsfondsjury oder Quartiersratssitzungen die sinnvollsten Maßnahmen für seinen Kiez zu beschließen. Aber so kann man eben auch die Entwicklung im Stadtteil mitgestalten und Veränderungen bewirken. Den Quartiersräten ist wichtig, mit ihrem Engagement etwas für das Zusammenleben im Stadtteil zu bewegen.

Trotz der Anti-AKW-Demo kamen weit über 300 Teilnehmer, davon die überwiegende Mehrzahl Quartiersräte, so dass der große Plenarsaal des Berliner Abgeordnetenhauses gut gefüllt war. Und während draußen die Menschen auf die Straße gingen, weil sie sich Sorgen um Gesundheit und Sicherheit in Zusammenhang mit der zukünftigen Energieversorgung machen, dominierten drinnen ebenfalls Sorgen: Zwar konnten in diesem Jahr noch die von der Bundesregierung drastisch gekürzten Städtebaufördermittel auf Initiative der Senatorin für Stadtentwicklung Junge-Reyer und mit Unterstützung des Regierenden Bürgermeisters Wowereit und des Finanzsenators Nussbaum noch einmal durch den Einsatz landeseigener Mittel ausgeglichen werden. In diesem Jahr können also noch Bildungs-, Integrations- Kinder-, Jugend- und Kulturprojekte in den Quartieren durchgeführt werden – aber wie geht es danach weiter?

Hausherr Walter Momper begrüßte auch in diesem Jahr die Berliner Quartiersräte, ohne deren ehrenamtliches Engagement das Programm Soziale Stadt nicht durchführbar wäre, denn das Kernstück der Quartiersarbeit ist ja die Beteiligung der Bewohner: "Ohne die Quartiersräte würde es nicht gehen – ich wünsche Ihnen gute Kommunikation heute!" Anschließend daran sprach Staatssekretärin Hella Dunger-Löper, sie eröffnete den Kongress mit offenen Worten und schlechten Nachrichten: "Ich muss Ihnen leider sagen, dass der neue Haushaltsentwurf der Bundesregierung die Mittel für die Städtebauförderung noch einmal halbiert hat."

Das ist eine Katastrophe, denn alle neueren Studien haben gezeigt, dass sich nur mit sozialen Projekten und investiven Maßnahmen negative Entwicklungen aufhalten lassen und Stadtteile stabilisiert werden können. Deshalb schließt die Staatssekretärin mit einem Appell: "Ich bitte Sie um Unterstützung! Wir müssen darum kämpfen, dass diese Pläne vom Tisch kommen – wir brauchen die Städtebauförderung!"

Die Quartiersräte tun nun erst einmal das Naheliegendste: Sie sind gekommen um zu arbeiten und sich auszutauschen. Professor Simon Güntner von der Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Hamburg hält zum Einstieg ein interessantes Referat mit dem Titel: "Unbezahlbares Engagement im Quartier – Betrachtungen zur Lage der sozialen Stadtpolitik". Das Thema des diesjährigen Kongresses ist die Verstetigung der Quartiersarbeit. Wie kann man den gewonnenen Status halten, wenn das Quartiersmanagement endet – wenn die Mittel erschöpft sind?

Professor Güntner berichtet von Entwicklungen am Beispiel Großbritannien. Er zeigt Tendenzen auf und gibt Empfehlungen für zukünftige Strategien in der Quartiersarbeit: Es gibt dort immer weniger große und teure Regierungsprogramme, sondern mehr lokales und ehrenamtliches Engagement. Wobei auch klar wird, dass professionelle Arbeit eben nicht eins zu eins durch freiwilliges Engagement ersetzt werden kann. Die geschaffenen Stadtteilvernetzungen müssen viel stärker der Bezirkspolitik vermittelt werden. Auch weiterhin muss es in jedem Stadtteil Knotenpunkte und Ansprechpartner geben. Außerdem müssen Argumente und Indikatoren gefunden werden, um erfolgreiche Projekte und Maßnahmen in die Politik zu kommunizieren. Und natürlich sollten neue Förderquellen erschlossen werden.

Verstetigung der Quartiersarbeit – Workshops

Im Anschluss an die Input-Referate und einer Mittagspause wird das Thema "Wie geht es weiter im Quartier" in die drei Themen "Bildung", "Gesundheit" und "Partizipation" aufgegliedert und einzeln erörtert. In drei weiteren Workshops wurde die Vernetzung der Quartiersräte, Nachhaltigkeitsstrategien und alternative Finanzierungsstrategien diskutiert.

Zentrale Themen aller Workshops: Wie soll es weitergehen, wenn das Quartiersmanagement endet? Wie bekommt man genug Ehrenamtliche, die wichtige soziale Projekte weiterführen? Geht es auch ohne professionelle Anleitung? Gibt es gelungene Beispiele? Teilweise herrscht Skepsis. Es gibt gute Ansätze, die man weiterverfolgen wird. Aber ohne zumindest minimale Basisfinanzierung ist es schwer, Nachhaltigkeit zu gewährleisten. Es werden Schlüsse gezogen und Fragen formuliert, die später der Senatorin für Stadtentwicklung gestellt werden sollen.

In der anschließenden Kaffeepause stärkt man sich, und die Quartiersräte vertiefen ihren Austausch. Hellersdorfer sprechen mit Weddingern über besonders erfolgreiche Bildungsprojekte. Spandauer mit Nord-Neuköllnern über die Möglichkeiten von Stadtteilmüttern. So schaut man "über den Tellerrand" und bekommt einen guten Einblick in die Arbeit und die Probleme in anderen Bezirken. Peter Schmidt, Quartiersrat aus der Gropiusstadt, ist zum ersten Mal dabei: "Es ist sehr interessant, zu hören, was die anderen Quartiere machen! Ich hatte in dem Workshop Gesundheit erst ein bisschen Angst, mich in so einer großen Runde zu äußern, aber man hat ja schon etwas zu sagen und es wurde ganz positiv aufgenommen. Ich werde einiges für mich mitnehmen heute!"

Plenum – wie geht es weiter?

Nach der Kaffeepause geht es wieder ins Plenum. Dort gibt es zuerst einen "Zwischenruf" von Dr. Frank Jost vom vhw - Bundesverband für Wohnen und Stadtentwicklung e.V. Er weist auf das Bündnis für eine soziale Stadt hin, das letztes Jahr gegründet wurde, um gegen die Kürzungen der Bundesregierung aktiv zu werden. Er bittet um Beitritt, Unterstützung und Weitersagen: "Damit wir die anstehende weitere Kürzung vielleicht doch noch zu unseren Gunsten abwenden können."

Stadtentwicklungssenatorin Ingeborg Junge-Reyer betont noch einmal, dass es unter anderem deshalb gelungen ist, das Programm Soziale Stadt weiterzuführen, weil aus den Quartieren selbst so überzeugende Argumente und Aktionen gekommen sind. Und auch sie bittet um weitere Unterstützung. Allen hier ist klar – eine erneute Halbierung der Städtebaufördermittel durch den Bund  wird auch das Land Berlin schwerlich auffangen können.

Und dann steht die Senatorin für die Fragen zur Verfügung, die in den Workshops formuliert wurden und die deren Sprecher jetzt vortragen. Zwei Beispiele:

Der "Workshop Bildung" kommt zu dem Schluss, dass dem Bildungsauftrag, der eindeutig beim Senat und einer sozialen Stadt liegt, aufgrund der Verhältnisse in den Quartieren im Moment nur mit zusätzlicher Hilfe durch ehrenamtliche Tätigkeit nachgekommen werden kann. Aber jedes Kind sollte eine Chance auf einen erfolgreichen Bildungsweg haben; und dabei braucht es unbedingt professionelle Begleitung und  eine entsprechende bauliche und personelle Ausstattung der Schulen – Ehrenamt kann und sollte hier nur unterstützend tätig werden.

Auf die Frage, ob nicht alle Parteien und Bildungs-Verantwortlichen sich gemeinsam mit den direkt im Bereich Tätigen an einen Tisch setzen könnten, damit man zusammen sinnvolle Maßnahmen im Bereich Bildung erarbeiten kann, sagt Ingeborg Junge-Reyer: "Man muss sich die Schulen und Projekte in der Stadt, die vorbildlich agieren, ansehen und zum Maßstab für Maßnahmen machen und dann braucht die Bildungsverwaltung ganz konkrete Beispiele, wo eine bestimmte Unterstützung erforderlich ist, dann können wir etwas tun und wir helfen Ihnen gern dabei, die Bildungsverwaltung an den Tisch zu bekommen!"

Der "Workshop Gesundheit" fasst zusammen, dass Gesundheitsförderung eine der ganz wichtigen Aufgaben der Quartiersräte sein sollte, und dass vor allem die sozialen Aktivitäten für verschiedene Altersgruppen gefördert werden müssen, um sozialer Isolation und Einsamkeit entgegenzuwirken. Dafür braucht es auch weiterhin finanzielle Mittel, und so stellte der Workshop keine Frage an die Senatorin sondern formulierte einen Appell für weitere Unterstützung mitMitteln aus dem Programm Soziale Stadt, damit diese Projekte, die maßgeblich wichtig sind für das Zusammenleben in den Quartieren und die seelische und körperliche Gesundheit seiner Bewohner, weitergeführt werden können.

Die Senatorin stimmte dem zu: "Wir müssen mit der Definition von Gesundheitsförderung durch soziale Aktivitäten noch viel breiter in die Öffentlichkeit gehen. In der Auseinandersetzung um die Finanzierung ist es außerordentlich wichtig, zu zeigen, welchen Gewinn wir als Gesellschaft, als Volkswirtschaft daraus ziehen können,  Menschen gemeinsame  soziale Aktivitäten zu ermöglichen – unter anderem auch die Vermeidung von Krankheitskosten! Ich bitte Sie, machen Sie erfolgreiche Beispiele dafür der Öffentlichkeit zugänglich! Alle Kommunikationswege sollten beschritten werden! Zum Beispiel Stadtteilzeitungen, die in den Briefkasten gesteckt werden, sind ein gutes Instrument dafür, Leute auf etwas aufmerksam zu machen oder zu aktivieren - Leute, die sonst keine Zeitungen lesen und kein Geld für ein Abonnement haben!"

In Zukunft - Fazit

Die Senatorin für Stadtentwicklung plädiert eindringlich für ein weiteres Engagement der Quartiersräte gegen die drohenden Kürzungen: "Wie man im letzten Jahr an den Aktivitäten sehen konnte, haben Sie eine Stimme. Sie sind Viele und Sie werden gehört! Machen Sie weiter und unterschätzen Sie nicht Ihre Kraft!"

Das Fazit aus diesem Kongress: Es muss weiter daran gearbeitet werden, so viele Menschen wie möglich von dem, was in den Quartieren Not tut, in Kenntnis zu setzen und von dem, was erreicht werden konnte.  Wir selbst müssen direkt aus den Quartieren  Überzeugungsarbeit leisten und deutlich machen, wie wichtig das Programm ist - laut und unüberhörbar! Um die Politik daran zu hindern, noch mehr Mittel zu streichen – nur so können die Quartieren handlungsfähig bleiben. Was in den letzten Jahren so positiv aufgebaut wurde, kann damit gesichert werden. Und kein Quartiersrat verschließt hier die Augen vor der Tatsache, dass jedes Quartier auch eigenverantwortlich und ehrenamtlich aktiv werden muss (Senatorin Junge-Reyer: "Es müssen Strukturen geschaffen werden, die auch längerfristig aus sich heraus tragfähig bleiben!") und dass neue Finanzierungswege aufgetan werden müssen: Kofinanzierung war das große Schlagwort – und auch hier versprach Ingeborg Junge-Reyer, dass ihre Verwaltung bei der Recherche helfen wird.

Nach all den Diskussionen, Fragen und Sorgen lud die Senatorin alle Anwesenden  zum Empfang in den Festsaal des Abgeordnetenhauses ein. Bei Musik und Kaffee gab es dann noch gute Gespräche, und alle Quartiersräte nehmen den Dank der Senatorin für Stadtentwicklung mit nach Hause: "Ich freue mich, dass wir zu Verbündeten für die soziale Stadtentwicklung geworden sind – ich danke Ihnen allen für Ihre Arbeit an der Entwicklung Berlins!"

Text: Undine Ungetüm /bearb. Redaktion 

Mehr Fotos und Videomitschnitte von der Quartiersrätekonferenz, freundlicherweise zur Verfügung gestellt von Quartiersratsmitglied Siemen Dallmann. 

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