Interview: „Nachhaltige Verbesserungen statt Resignation“

Von anfänglicher Skepsis hin zu erfolgreichen Projekten mit internationaler Aufmerksamkeit wie dem Campus Rütli: Das Quartiersmanagement-Team Reuterplatz blickt im Interview zurück auf über 600 Projekte nach 15 Jahren Quartiersmanagement.

Wie verliefen die Anfänge des Quartiersmanagements bei Ihnen im Kiez? Welche Hürden mussten anfänglich überwunden werden?

Das neue Quartiersmanagement-Team musste zunächst versuchen, durch verlässliches Handeln die Skepsis zu überwinden und Vertrauen in das Verfahren und die handelnden Personen aufzubauen. Dies vor dem Hintergrund einer Bewohnerschaft, die einen sehr resignativen Blick auf das eigene Quartier entwickelt hatte. Zudem wurde das Quartier zu diesem Zeitpunkt auch von außen als „Ghetto“ und „No-Go-Area“ wahrgenommen.

Rückblickend auf die vielen spannenden Jahre Quartiersmanagement: Auf welche Veränderungen oder gelungenen Aktionen im Kiez sind Sie besonders stolz?

Stolz kann man nur auf Selbsterreichtes sein; insofern ist bei einem Gemeinschaftswerk wie dem Quartiersmanagement Stolz nicht ganz der richtige Ausdruck. Wir würden es eher so formulieren, dass wir uns freuen, dass gemeinsam positive Entwicklungen erreicht oder zumindest angestoßen werden konnten. Denn viele Köpfe und Hände sind notwendig gewesen, um Veränderungen zu bewirken: von einzelnen Bewohnerinnen und Bewohnern, den Bewohnergremien, lokalen Akteuren, Initiativen und Einrichtungen bis hin zu den jeweiligen Verwaltungen haben viele Anteil an den Veränderungen.

Wir freuen uns, dass es gelungen ist, nachhaltige bauliche Verbesserungen insbesondere für Kinder zu erzielen, durch die Aufwertung von Schulhöfen, Freiflächen der Kindertagesstätten und die Herrichtung von Spielplätzen. Dies war der Ausgangspunkt für die Vernetzung und Kooperation im Bildungsbereich, die viele sehr gute und wirkungsvolle Projekte hervorgebracht hat. In der Folge konnten zivilgesellschaftliche Akteure und Unterstützer insbesondere für den Bereich Bildung gewonnen werden. Mit dem Lokalen Bildungsverbund und dem Campus Rütli - CR² aber auch einigen kleinteiligen Projekten in den Bildungseinrichtungen werden positive Veränderungen für das Quartier auch nach dem Ende des Quartiersmanagement-Verfahrens erhalten bleiben.

An welchen Stellen haben das Quartiersmanagement und die eingesetzten Mittel aus dem Programm "Soziale Stadt" besonders effektiv gewirkt?

Hier könnte man sicher darüber diskutieren, was Effektivität im Zusammenhang mit den Zielen des Programms „Soziale Stadt“ bedeutet. Beeindruckend waren über die Jahre hinweg die Effekte des Aktionsfonds bzw. des Quartiersfonds 1. Mit relativ geringem Förderumfang konnten hier hunderte Projekte realisiert werden, die sehr viel Engagement generiert haben und in nicht unwesentlichem Maß auch Bewohnerinnen und Bewohner für das Programm „Soziale Stadt“, das Quartiersmanagementverfahren aber auch für Engagement generell aufgeschlossen haben.

Auch sind selbsttragende Strukturen, wie z.B. die Elterninitiative, die Stadtteilmediatoren oder das Eigentümernetzwerk aus Projekten der „Sozialen Stadt“ hervorgegangen und haben sich etabliert. Dennoch brauchen ehrenamtliche Strukturen weiterhin Ansprechpartner und Unterstützung in organisatorischer und finanzieller Hinsicht.

Bei den Projekten im Bildungsbereich, die unser Handlungsschwerpunkt über lange Jahre waren, ist es sicher schwieriger nachzuweisen, inwieweit diese effektiv gewesen sind. Für einige Projekte wie Schule im Wald, Interkulturelle Moderation oder dem Eltern-Aktiv-Zentrum an der Elbe-Schule, Lernwerkstätten und vielen mehr können jedoch deutlich positive nachhaltige Effekte für die Teilnehmerinnen und Teilnehmer und die beteiligten Einrichtungen festgestellt werden.

Manchmal bestehen Effekte von Projekten aber auch darin, dass der hohe Bedarf nachgewiesen wird und dadurch politische Aufmerksamkeit und Unterstützung generiert werden kann. So wurden die besonderen Bedarfe von Bildungseinrichtungen, die in benachteiligten Quartieren liegen, von vielen Quartiersmanagement-Gebieten und gemeinsam mit vielen engagierten Akteuren und Pädagoginnen und Pädagogen vor Ort immer wieder thematisiert. Mit dem Bonus-Programm für Schulen in schwieriger Lage wurde dem erstmals - mit Referenz auf Schülerinnen und Schüler, die aus finanzschwachen Elternhäusern kommen - Rechnung getragen.

Wie geht es jetzt im Quartier weiter? Welche Maßnahmen sind für die Verstetigung geplant?


Nun kurz vor dem Ende des Verstetigungsprozesses ist vieles bereits umgesetzt worden. Erfreulicherweise ist es in den letzten zwei Jahren gelungen, noch einige Strukturen aufzubauen und so zu sichern, dass sie auch nach dem Ende des Quartiersmanagement-Verfahrens bestehen bleiben bzw. gute Aussichten auf eine dauerhafte Perspektive haben.

Dank der Unterstützung vieler Menschen ist es gelungen, mit dem Stadtteilbüro auf dem Campus Rütli einen Ankerpunkt im Quartier für Initiativen, Bewohnerschaft, Akteure und Vereine zu schaffen. Die Trägerschaft des Stadtteilbüros hat das Nachbarschaftsheim Neukölln übernommen. Noch befindet sich das Stadtteilbüro am Übergangsstandort in der Jugendfreizeiteinrichtung „Manege“. Aber voraussichtlich schon im Sommer 2017 können die beiden Mitarbeiter an den endgültigen Standort in das Stadtteilzentrum auf dem Campus Rütli einziehen. Dort werden neben dem Stadtteilbüro zahlreiche Angebote für die Bewohnerschaft aus dem ehemaligen Quartiersmanagement-Gebiet und darüber hinaus in einem Haus zu finden sein: z.B. die pädagogische Werkstatt, der Regionale Soziale Dienst des Jugendamts, die Elterninitiative und die Stadtteilmediator_innen.

Durch das Engagement des Vereins Moro e.V. und mit Unterstützung des Vermieters Stadt und Land ist es im Rahmen der Verstetigungsphase mit einer Anschubfinanzierung gelungen, eine Anlaufstelle für Seniorinnen und Senioren aufzubauen, die inzwischen bereits selbstständig arbeitet. Der Bezirk Neukölln unterstützt das Seniorenzentrum durch die Übernahme der Betriebskosten und eine Vor-Ort-Beratung eines Sozialarbeiters. Der Betrieb des Seniorenzentrums soll durch eine Kooperationsvereinbarung zwischen den drei Partnern gesichert werden.

Ebenfalls im Rahmen der Verstetigungsphase haben sich sozial verantwortliche Gewerbetreibende und soziale Einrichtungen zusammengefunden und kennengelernt. Das Projekt soll als regelmäßiger Stammtisch fortgesetzt werden. Hier werden noch weitere Gewerbetreibende als Mitstreiter gesucht.

Wir haben uns zur Verabschiedung aus dem Quartier überlegt, dass wir den Menschen und Akteuren noch etwas an die Hand geben wollen, das für sie in Zukunft hilfreich ist. Wir haben deshalb mit Unterstützung des Büros UrbanPlus einen Faltflyer „Aktiv im Reuterkiez!“ produziert, auf dem 20 Initiativen, Einrichtungen und Vereine dargestellt sind, die auch nach dem Ende des Quartiersmanagement-Verfahrens im Quartier bleiben und wertvolle Angebote machen.

Werden noch helfende Hände gesucht, die helfen können? Was sind die anstehenden Aufgaben?

Helfende Hände und engagierte Menschen für das Quartier werden immer gesucht und sind herzlich willkommen. Sie können sich ab sofort an das neue Stadtteilbüro auf dem Campus Rütli wenden und an neuen Formaten wie z.B. dem Nachbarschaftstreffen oder dem Begleitgremium teilnehmen. Die beiden Mitarbeiter des Stadtteilbüros, die derzeit noch aus Mitteln der Sozialen Stadt finanziert werden, freuen sich auf neue Gesichter.

Ein zentrales Thema sind die steigenden Mieten im Reuterkiez. Hier wäre die Einrichtung eines lokalen Beratungsangebots für Bestandsmieter ein wichtiges Signal und eine wertvolle Unterstützung gegen Verdrängung. Auch die finanzielle Absicherung der Arbeit des Stadtteilbüros nach 2018 ist eine anstehende Aufgabe. Dafür wurde die Unterstützung von Politik und Verwaltung auf verschiedenen Ebenen bereits in Aussicht gestellt.